Viktoriya über Alina:
Alina habe ich in Konstanz kennengelernt.
Alina hat mich dazu ermutigt, diesen Adventskalender in einer Printversion herauszugeben.
Bei der Zusammenarbeit an diesem Projekt hat sich zwischen uns eine Freundschaft entwickelt.
Alina ist für mich mein Alter Ego, meine Seelenverwandte, eine wertvolle Gesprächspartnerin, die sich oft selbst vielleicht gar nicht bewusst ist, wie sehr sie mich auf meinem Weg zu mir selbst unterstützt.

Alina erzählt ihre Geschichte von Nächstenliebe:
Meine Unterstützung als Volontärin in Lemberg
Als ich in Lemberg war, habe ich mich entschieden, dass ich helfen will, weil ich diese Panik und diese Ströme schockierter Menschen gesehen habe. Es gab eine unglaubliche Migration von Flüchtlingen innerhalb des Landes. In Lemberg gab es keine Plätze mehr, wo Menschen übernachten konnten. Ich habe beschlossen, in der Ukraine zu bleiben und als Volontärin Menschen zu unterstützen. Für die fliehenden Menschen war es wichtig, zumindest für eine Nacht eine Unterkunft zu finden, in der sie sich behaglich und gut betreut fühlen konnten.
Aus eigener Erfahrung konnte ich ihre Lage verstehen und das, was sie gerade durchmachen mussten. Obwohl ich weit weg war, habe ich verstanden, was es bedeutet, wenn der Krieg einen aus seiner gewohnten Umgebung, aus dem Zuhause, herausreißt. Der Krieg hat mich mit der Tatsache konfrontiert, dass ich kein Zuhause mehr habe. Mit unserem Haus, das wir in Lemberg gemietet hatten, war es für mich keine Frage, dass wir Menschen verpflegen und aufnehmen werden. Ich wollte den Flüchtenden wenigstens etwas Wärme geben, damit sie die Möglichkeit haben, Energie zu tanken, um ihren Weg zu einem sicheren Ort fortzusetzen, damit sie ihre Kinder in Sicherheit bringen können. Es waren alles Frauen mit Kindern.
Die Ausstellung Chervona Kalyna in Konstanz
Chervona Kayina - Dieses Projekt hat sich bereits weit vor meiner Ankunft in Konstanz ereignet, als ich die Grenze überquerte und diese humanitäre Katastrophe gesehen habe. Wie Frauen ihre Babys getragen haben oder mit Kindern, die gerade erst angefangen haben zu laufen und mit einem Koffer vier Kilometer durch Schnee und Wind gehen mussten. Für mich war es einfach ein Schock! Ich wollte darüber in den Medien berichten, der Gesellschaft zeigen, dass sowas wirklich passiert. Ich wollte, dass diese Frauen und ihre Kinder zumindest die grundlegenden Dinge in dieser Situation bekommen: eine Decke, ein warmes Getränk, etwas zum Essen und einen Raum, in dem sie sich aufwärmen können. Ich sah die schockierten Gesichter der geflüchteten Frauen,  voller Schmerz und Verzweiflung. Und ich habe sie in Konstanz wieder getroffen … diese Gesichter - sie zeigen einen verlorenen Menschen. Ich wollte jeden in irgendeiner Weise unterstützen, damit der normale menschliche Gesichtsausdruck zurückkehrt und nicht der,  voller Schmerzen, Verwüstung und Verzweiflung. Aus eigener Erfahrung konnte ich gut nachvollziehen, wie sie sich fühlten. Ich hatte ja auch die Erfahrung gemacht, in einem fremden Land angekommen zu sein, ohne die Sprache des Landes sprechen zu können. Ich weiß wie es ist, wenn niemand mit einem in der Sprache sprechen kann, die man beherrscht und es einem schwer fällt, sich auszudrücken. Deshalb wollte ich diese Frauen zum Leben inspirieren. Von diesem Gedanken an wurde mir klar, dass ich dieses Projekt realisieren wollte. Und ich habe es einfach gemacht.
Wer bin ich ...
Ich bin Alina Ushcheka, 41 Jahre alt. Wenn es um die Nationalität geht, bin ich laut meinem Pass eine Ukrainerin, aber in meiner Seele fühle ich überhaupt keine Nationalität. Ich habe das Gefühl, dass in mir ein kleiner Teil von Nomadenblut fließt, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass ich in meinem Leben mit einer gewissen Leichtigkeit viel umgezogen bin. Was meinen Beruf betrifft, habe ich mein Talent als Fotografin entdeckt und das ist es, was ich am liebsten mache und was mich erfüllt. 
Ich bin Mama von drei Kindern. Ich schwärme von meinen Kindern, sie sind für mich die wertvollsten Menschen, die mir am nächsten stehen.
Über die Frage „Wer bin ich?“ habe ich 2014 und 2015 nachgedacht, während meines ersten Krieges, als ich viel verloren hatte und mich allein mit zwei Kindern in Prag wiederfand, wo ich im März 2014 als Touristin mit zwei Koffern ankam, geschieden und am Boden zerstört von dieser Scheidung.
Als im Mai 2014 in meiner Heimatstadt Donezk der Krieg ausbrach, habe ich ansehen müssen, wie meine zehnjährigen Bemühungen, ein Unternehmen aufzubauen, um in einem gewissen Wohlstand zu leben, wie ein Kartenhaus zusammengebrochen waren. Und dann hat ein Selbstfindungsprozess bei mir angefangen, auf der Suche nach meiner eigenen Identität: „Wer bin ich? Was will ich wirklich?“ Das war ziemlich schwer, denn wenn alles um einen herum zerstört ist und man sich mitten in diesen Trümmerhaufen befindet, fühlt es sich an, als wäre man entblößt. Der Krieg entblößt im wahrsten Sinne des Wortes, denn er entblößt die Illusionen über das Wohlbefinden, über Stabilität. Wenn man bereit ist, sich so wahrzunehmen und keine Anschuldigungen auf Menschen zu erheben, die einen umgeben, um sich vorzuwerfen, was einem passiert ist und wenn man nicht in einer Opferrolle verharrt, dann hat man eine große Chance. Ich würde sogar sagen, dass ich das Glück hatte, diese Chance zu bekommen. Ich bin dem Universum und der Welt dafür dankbar, dass ich meinem wahren Selbst begegnen und Antworten auf diese Fragen finden kann. Momentan kann ich sagen, dass ich ein Wesen bin, das Weisheit, Aufrichtigkeit und Erkenntnisse liebt. Ich habe ein großes Bedürfnis, die Welt zu erfahren und die Menschen um mich herum kennenzulernen. Ohne sie würde ich wahrscheinlich nur vor mich dahin vegetieren. Deshalb reise ich gerne, lese und beobachte. Es ist auch sehr wichtig für mich, enge Freunde in meinem Leben zu haben. Ich brauche nicht Tausende oder Millionen von Freunden, sondern einen engen Freundeskreis, in dem ich inspiriere und von dem ich selbst inspiriert werde.
Weisheit bedeutet für mich der Versuch, in jeder Situation des Lebens so klar wie möglich das Gegenüber, die Situation und das Geschehen, das sich in dieser Welt ereignet, zu betrachten und wahrzunehmen. Nach dieser Weisheit sollte man dann auch handeln, anstatt sich vom eigenen Ego, von Gefühlsausbrüchen oder Ideen blenden zu lassen.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Von Natur aus bin ich eine Idealistin. Seit meiner Kindheit habe ich, vielleicht weil ich viele Bücher gelesen habe, mein eigenes Bild von der Welt und meine eigene Vorstellung von Kindness entwickelt. Wenn ich aus meinen Kindheitserinnerungen über Kindness sprechen würde, ist Nächstenliebe für mich, wenn jemand das Wertvolle, das man hat, mit anderen teilt. Das heißt, das Kind, mit dem ich befreundet bin, hätte mir ein Spielzeug gegeben, das für es selbst wertvoll wäre. Oder wenn dieses Kind gesehen hätte, dass ich hingefallen und gestolpert wäre und es weh täte, hätte es mich gefragt „Tut es dir gerade sehr weh?“ oder es würde einfach seine Anteilnahme zeigen, statt zu kichern und zu verhöhnen.
Als ich erwachsen wurde, ging es für mich bei der Nächstenliebe mehr darum, dass ein Mensch in jeder Situation Mitgefühl und Empathie zeigen kann. Wenn sich dein Gegenüber in einer freudigen Situation befindet, bedeutet es, sich für ihn oder sie zu freuen. Mitgefühl kann man nicht nur in schweren, unangenehmen Situationen haben und zeigen. Nächstenliebe bedeutet für mich Empathie und das Mitbeteiligen - das ist für mich Einfühlungsvermögen. Ohne zu urteilen, ohne Kritik. Mit Akzeptanz. Der maximale Versuch zu verstehen, was dein Gegenüber gerade durchmacht. Und dann ihn zu unterstützen, wenn es notwendig und so weit es möglich ist. Für mich ist das Nächstenliebe/ Kindness.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Für mich war das überhaupt keine Überraschung, denn als ich 2019 von Prag zurück in die Ukraine gekommen bin, hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass ich nicht lange bleiben werde. Ich hatte so ein Bauchgefühl von Unsicherheit und Gefahr. Viele Menschen waren schon in der Erwartung eines Krieges. Besonders diejenigen, die 2014 die Ostukraine verlassen mussten und schon damals den Krieg am eigenen Leib erfahren haben.
Die Geflüchteten aus der Ostukraine/ Donezk sind auf Inakzeptanz innerhalb der Ukraine gestoßen.
Meine Vorstellung ist, dass viele unserer Erfahrungen in den Zellen des Körpers gespeichert werden. Dadurch kann man zum Beispiel schon vorher erkennen, dass ein Krieg bevorsteht. Es mag jetzt mystisch oder völlig unlogisch klingen, aber ich bin davon überzeugt, dass wir Menschen in erster Linie fühlende Wesen sind und dass wir ziemlich vieles schon anhand unserer Körpern wissen. Wir können diese Informationen und diese Spannungen ablesen.
Ukrainische Medien schrieben damals, dass der Krieg am 16. Februar beginnen würde. Alle atmeten erleichtert auf, als es nicht der Fall war. Drei Tage vor dem 24. Februar saß ich in einem Einkaufszentrum mit großen Fenstern und sah, wie Militärfahrzeuge auf der Straße entlang fuhren. Für mich hing das alles schon in der Luft, klar und deutlich.
Vor dem Einschlafen am 23. Februar holte ich aus meinem Telefonspeicher Zeichnungen meiner Tochter hervor, die sie in Prag 2014 gezeichnet hat, als sie versucht hat, ihre ganze Anspannung an den Worten „Krieg in Donezk“ auszulassen. Ich habe sogar in meinen Instagram Stories gepostet, dass mein einziger Wunsch ist, mit dem ich jetzt einschlafe, dass der friedliche Himmel bleibt, weil dieser Horror von keinem Kind auf der Welt erfahren werden muss. Von KEINEM! Denn Kinder sollen gar nicht in den Krieg involviert werden.
Erwachsene spielen ihre kranken Spiele, ihre kranken Ego-Spiele und Kinder müssen leiden. Dieses Leid, das habe ich in den Zeichnungen meiner Tochter gesehen, obwohl sie nicht einmal direkt in diesem Krieg war. Sie wusste nur, dass wir von Prag nicht mehr nach Hause zurückkehren können, weil dort, wo unser Zuhause war, Bomben fallen und Leichen auf den Strassen liegen.
Ich habe diesen Wunsch in meinen Stories gepostet und bin dann eingeschlafen. Aufgewacht bin ich am 24. Februar von Mamas Anruf und von ihrem Satz: „Weißt du, der Krieg ist nun ausgebrochen.“ Innerlich spürte ich eine starke Unruhe, aber dann kam sofort meine Konzentration und ein klares Bewusstsein, was ich zu tun habe.
Meine beiden ältesten Kinder mussten leider den Schrecken des Krieges noch einmal erleben, dieses Mal direkt in dieser kriegerischen Umgebung. Mein mütterlicher Instinkt war komplett aktiviert und ich war in Alarmbereitschaft, um meine Kinder zu schützen und zu retten.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Der Krieg in der Ukraine, wie ich ihn sehe: Das sind Spiele ausgewachsener Menschen, die in ihrer Entwicklung kindisch geblieben sind. Geistig und moralisch kranke Männlein, für die das menschliche Leben keinen Wert hat, weil sie für sich selbst keine Wertschätzung haben. Sie haben teure Autos, Häuser, Inseln und alles andere, aber sie haben keine wahre Liebe für sich selbst. Folglich haben sie keine Wertschätzung und kein Verständnis für das menschliche Leben. Würde so ein Mensch verstehen, wie schmerzhaft es ist, mit einem abgetrennten Bein am Boden zu liegen oder wenn ein Kind oder eine Mutter ohne einander zurückbleiben, würde ein Mensch niemals einen Krieg beginnen. Für keine Ressourcen dieser Welt, auf keinen Fall!
Es ist für mich eine Enttäuschung, dass solche kranken Menschen gewählt werden und so eine kranke Gesellschaft aufbauen. Aber da sind wir bei der Tatsache, dass im Grunde genommen nur eine kranke Gesellschaft sich einen kranken Menschen aussucht und erwählt.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Ja. Ich möchte es nochmal sagen, dies ist mein zweiter Krieg. Für mich persönlich habe ich noch mehr Vertrauen in meine Intuition und Vertrauen in meine innere Stimme gewonnen.
Das Bewusstsein dafür, dass alle materiellen Dinge kommen und gehen, ist nur noch mehr gewachsen. Und es ist mir umso mehr bewusst geworden, dass es sehr viele wunderbare Menschen auf dieser Welt gibt!  Das ist es, was ich seit dem Morgen des 24. Februar erfahren habe. Mein Messenger war voll mit Nachrichten von Freunden aus der ganzen Welt, die mich fragten, wie sie mir helfen könnten und mich darum gebeten haben, dass ich mich und meine Kinder evakuieren soll. Für mich war es eine sehr starke Unterstützung. Als ich angefangen habe mich und meine Kinder zu evakuieren, hat es sich so angefühlt, als ob ich in einem Korridor entlang gehe, in dem mir jeder Mensch die Hand mit seiner Unterstützung und seinem Mitgefühl reicht. Das war unglaublich! Und das geht bis heute so weiter.
Dieser Krieg hat mich insofern verändert, dass sich mein Glauben in das Gute durch meine eigenen Erfahrungen bestätigt hat. In dieser Welt wimmelt es nur von tollen, interessanten, freundlichen Menschen, die ihre Mitmenschen wirklich wertschätzen können.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Ich wünsche mir, dass ich weiterhin an mich selbst glaube und dass ich mir selbst vertraue. Mir, dieser inneren, echten Alina. Und dass ich meiner inneren Stimme und meiner Intuition folge und das verwirkliche, wofür mein inneres Feuer brennt.
Ich wünsche meinen Kindern, dass sie sich in unserem neuen Zuhause - Konstanz - mental und psychisch wohler fühlen. Ich wünsche ihnen, dass sie weiterhin Freude fühlen, lachen können, sich ihrer Gefühle bewusst sind und sie ausdrücken können - das lernen sie noch fortwährend. Das tue ich auch.
Der Menschheit möchte ich wünschen, dass jeder Mensch mit sich selbst aufrichtig ist, um zu verstehen, was seine wahren Wünsche sind, und nicht die, die von den Eltern, von der Gesellschaft, von den Standards und dem Ego aufgezwungen sind. Diesen feinen Unterschied zu verstehen ist sehr wichtig, um den eigenen, wahren und aufrichtigen Wünschen zu folgen. Dann ist die Schaffensfreude möglich, denn dann passiert die Erbauung. So sehe ich es. Ich wünsche mir, dass alle zu sich selbst kehren und Erfüllung in Erbauung finden. Ich wünsche mir, dass jede:r schöpferisch wird.