Viktoriya über Sven:
Ich bin Stammkundin bei Coffee Fritz, dort trinke ich gerne immer wieder ein, zwei Tassen Cappuccino mit Hafermilch und esse dazu ein Aprikosen-Croissant. Am 26. Februar saß ich am Tisch und trank meinen Kaffee. Allerdings war ich gedanklich in Kyiv und hatte ein lähmendes Angstgefühl, dass ich weder meinen Vater noch meine Freunde wiedersehen werde. Sven kam zu mir an den Tisch und ich fragte ihn automatisch, wie es ihm so geht. Zurück kam die Frage: "Eigentlich müsste ich dich fragen, wie es dir geht?" Sven hat mich gedanklich wieder zurück nach Konstanz in sein Cafe geholt und hat mir erzählt, dass er ein Zimmer hat, in dem er zwei Menschen unterbringen kann, auf unbestimmte Zeit. 
Zwei Wochen später konnte ich die Schwester von Snizhana und ihre Tochter bei Sven unterbringen. Sie blieben dort, bis sie sich entschieden haben Mitte August wieder zurück nach Irpin zu gehen.
Sven und seine Geschichte von Nächstenliebe:
Es ist so viel Negatives auf diese Menschen eingeprasselt. Ich wollte, dass sie unter einem friedlichen Himmel in Deutschland in Ruhe schlafen können und ein Sicherheitsgefühl bekommen. Ich wollte ihnen einen Raum geben, in dem sie ihren Kopf etwas frei bekommen, was wichtig ist. Für mich bedeutet es auch etwas Positives für den Mann, der in der Ukraine geblieben ist: dass er weiß, dass seine Familie in Sicherheit ist.
Ich kenne dich, Viktoriya, aus meinem Laden, es war was Konkretes, was ich selbst bewirken könnte. Was Unkompliziertes, ohne Behördengänge und ohne lange Prozesse. Es ist Krieg, es wird Hilfe gebraucht und ich wollte schnell handeln. Ich weiss nicht, ob ich geholfen hätte, wenn ich dafür viel Behördenkram hätte ausfüllen müssen. Für mich stand der Mensch im Vordergrund, nicht Formulare. Ich wusste, dass ich konkret Der- oder Derjenigen helfen kann. Und da helfe ich gerne.
Wer bin ich ...
Ich bin Sven, 40 Jahre alt und gebürtiger Radolfzeller. Seit drei Jahren habe ich jetzt hier in Konstanz mein australisches Café, weil ich lange Zeit in Melbourne in Australien gelebt habe, der inoffiziellen „Kaffeehauptstadt der Welt“. 
Als ich an den Bodensee zurückgekommen bin, wollte ich die australische Kaffeekultur in meine alte Heimat mitbringen. Mein Gedanke war, dass es mich glücklich macht, wenn ich das Erleben von richtig gutem Kaffee teilen kann.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
“Listening to your stomach and not only to your brain” – Auf sein Bauchgefühl hören und nicht nur auf den Kopf.
Ohne jeglichen Hintergedanken jemandem was Gutes tun, ohne dabei zu schauen, was ich für Vorteile für mich daraus ziehen kann. Sich in eine andere Person hineinversetzen und sich zu fragen: Wenn ich in dieser Situation wäre, was würde ich mir wünschen? Ich würde mich ja dann auch freuen, wenn mir jemand helfen würde. Wenn in Deutschland Krieg wäre, wäre ich froh, wenn jemand mich in der Ukraine aufnehmen würde, ohne Hintergedanke und ohne dass ich Angst haben muss, dass mir etwas Schlechtes passieren könnte. 
Ich kann helfen, mit dem, was ich habe.  Damit kann ich schon was erreichen, was auslösen und einfach mal machen − auf meinen Bauch hören. Wenn ich jemanden etwas Gutes tun kann, dann tue ich auch etwas Gutes für mich. Gutes tun fühlt sich gut an.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Es löst bei mir ein starkes Unrechtsempfinden aus. Wie kann sowas sein und warum muss sowas sein? Für mich ist es, als würde man mir sagen, ich darf nicht mehr sein, wer ich bin. Da wird mir schlecht. In gewisser Weise würde ich jetzt sagen: Eine Frau Putin hätte sowas nicht gemacht. Es hat etwas Dominant-Arrogantes. Bei mir hat es ein Gefühl von Abneigung ausgelöst: jemand nimmt anderen ohne Recht etwas weg. 
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Es ist nicht so, dass es so einen Krieg nur in der Ukraine gibt. Ich werde auch mit Nachrichten aus anderen Ländern bombardiert. Was z. B. im Jemen passiert, ist schlimm … nur ist es auch so weit weg. Die Ukraine ist einfach näher, in einem Teil von Europa. Dass hier Putin mit einem Krieg der Ukraine das Existenzrecht abspricht, das ist für mich krass und dass die Ukrainer und Ukrainerinnen momentan für ihr Existenzrecht kämpfen müssen.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Der Krieg in der Ukraine hat mir zu verstehen gegeben, dass das Ganze unglaublich nah sein kann. Und was ist das für ein Krieg, wenn die Leute rüberkommen und Waschmaschinen klauen? Das hat nichts mit dem Krieg zu tun, das hat nichts mit Befreiung zu tun, das ist einfach eine Plünderung. Ich habe es so wahrgenommen, dass dieser Krieg hauptsächlich für das Ego einer Person geführt und mit einer großen Propaganda-Show begleitet wird. Mir ist klar geworden, dass solche „Messerstiche“, solche toxische Propaganda gegen die Ukraine schon seit Jahren passierte und dass wir im Westen das einfach ignoriert haben. Wir haben alle eine Art Gehirnwäsche von der russischen Propaganda verpasst bekommen.
Ich bin als Deutscher mit unserer Geschichte aufgewachsen, die in vielen Punkten ähnlich war. 
Und es war für mich einfach auch peinlich, wie sich unsere Regierung in dieser Situation verhalten hat. Bei diesem Unrecht, das wir als Deutschen in die Welt gebracht haben, möchte ich später sagen können: Es gab eine Situation, in der ich helfen konnte und ich habe nicht gezögert und geholfen.
Ich bin durch das Helfen zufriedener mit mir selbst geworden. Ich bin bewusster geworden, dass ich einen Teil beigetragen habe, dass es wenigstens zwei Menschen besser geht.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Ich wünsche uns allen, dass wir unsere Umgebung mehr wahrnehmen. Dass wir uns bewusst sind, dass es uns trotz allem gut geht und dass wir dafür öfters dankbar sein sollten, weil es so schnell passieren kann, dass es sich wandelt.
Wie schnell Menschen, die wir lieben, einfach weg sein können, z. B. durch den Krieg.
Für Weihnachten wünsche ich mir einfach, dass wir alle zusammen mit der Familie nichts tun können und die Zeit zusammen wertschätzen. Und dass wir einfach für andere da sind.