Viktoriya über Charly:
Als Snizhana, ihre Schwester, ihre Töchter und ihr Kater in Konstanz angekommen waren, habe ich mich um den Weg für Oksana und ihren Sohn nach Konstanz gekümmert. Sie flohen über Rumänien und Tschechien. Für sie war ein Stopp in Dresden mit einer Übernachtung notwendig, weil es schon gegen Mitternacht war, als sie dort ankamen.
Ich habe in meinem Umfeld gefragt, ob es jemanden gibt, der mir dabei helfen kann, und Charly hat mir geschrieben. Die Übernachtungsmöglichkeit für beide Menschen konnte, dank Charly, in einer sehr kurzen Zeit organisiert werden. Oksana und ihr Sohn wurden vom Bahnhof abgeholt, auch wenn es fast Mitternacht war. Die beiden haben bei einer Freundin von Charlys Schwester übernachtet, bekamen warmes und leckeres Essen und konnten sich gut erholen, um am nächsten Tag ihren Weg nach Konstanz weiter fortzusetzen. Dafür bin ich Charly und Caro sehr dankbar!
Charly erzählt ihre Geschichte von Nächstenliebe:
Für mich war einfach ganz klar, dass da krasses Unrecht geschieht. Dass es antidemokratisch ist. Es trifft mich ganz stark, wenn es um Menschen geht, die sich gerade auf den Weg in eine freiere Welt machen und dann wieder unterdrückt werden.
Ich glaube, meine Grundeinstellung war schon immer Widerstand. Ich ertrage Ungerechtigkeit sehr schlecht, selbst wenn ich nicht direkt involviert bin. Und deshalb stellt sich die Frage für mich irgendwie nicht. Wenn ich Kapazitäten habe, werde ich helfen und Widerstand leisten. 
Wer bin ich ...
Also ich bin Charlotte, ich bin ein Mensch. Ich bin vieles gleichzeitig und fühle diese Gleichzeitigkeit sehr. Charlotte. Bauingenieurin. Feministin. Aktivistin. Und irgendwie immer auf der Suche danach, wie die Welt funktioniert und wie wir besser zusammenleben können. Wie alles zusammenhängt. Und wie wir aus dem ganzen Schlamassel rauskommen.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …

Das frage mich tatsächlich auch immer wieder. Ich habe oft das Gefühl, gar nicht so ein Menschenfreund zu sein, gar nicht so gut mit Menschen klarzukommen. Irgendwie sind mir Menschen oft zu viel und es braucht viel für mich, dass eine Beziehung richtig gut funktioniert. Gleichzeitig mag ich die Menschen, mit Abstand. Ich finde sie sind ganz außergewöhnliche Tiere. Ich glaube an das Gute in den Menschen, „alles will nur geliebt werden“. Ein Gefühl der Nächstenliebe habe ich vor allem der Menschheit gegenüber, sozusagen mit Abstand zu den einzelnen Menschen. Da fällt mir das oft leichter. Das ist ein Paradox, das ich nicht richtig verstehe und nicht so genau weiß, wo es herkommt. Weil sich ja trotzdem bei fast allem, was ich mache, so viel darum dreht, wie wir es schaffen können, dass es den Menschen oder der Gesellschaft (aber auch allen Ökosystemen und dem ganzen Planeten) besser geht.
Nächstenliebe ist für mich eher eine Idee von der Gesellschaft, vom Miteinandersein. Eine bessere Welt erschaffen zu wollen, aus der Gesellschaft heraus. 

Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...

Das hat mich wirklich fassungslos gemacht. Ich erinnere mich an einen Moment, als ich im Wohnzimmer saß, um mich herum hat sich alles gedreht, alles war still. Und ich war mir plötzlich sicher: Diese Ereignisse waren erst der Anfang von etwas, was unsere Welt radikal auf den Kopf stellen würde. So ähnlich, wie man sich vor zwei Jahren nicht vorstellen konnte, was Corona macht. Darüber habe ich dann später eine Insta-Story geschrieben.
Wir waren in Skiferien und es war so absurd, auf einer Skitour zu sein und nicht zu wissen, was man gleich in den Nachrichten lesen wird, sobald man wieder Empfang hat. Ich hatte das Gefühl, wie kann sowas passieren?
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...

Einen Angriff auf die Freiheit, auf die Demokratie. Den Versuch, überkommene Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Einen Backlash, dort wo eigentlich gerade ein zartes Pflänzchen gewachsen ist. Für mich ist es ein zutiefst patriarchaler Krieg. Zentral für mich ist wirklich die Frage danach, wie Krieg überhaupt möglich sein kann, in der Form, wie wir ihn auf der Welt sehen. Viel interpretiere ich als patriarchales Machtgehabe, und ich bin mir sicher, dass es nur durch die patriarchalen Gewaltstrukturen, die schon lange lange vor diesem Krieg da waren und die Luft sind, die wir atmen, möglich ist, so viele Menschen zum Mitmachen und zum Ausführen solcher Gräueltaten zu bekommen. 
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Ja. Erstmal hat der Krieg für mich nochmal ganz klar und schonungslos Anstoß gegeben, sehr viele von den gewaltvollen Strukturen auf der Welt zu sehen und nicht wegzugucken. Und er hat mir klar gemacht, dass das einzige, was es dagegen gibt, die Zivilgesellschaft ist, die zusammenhält und dagegen aufsteht. Die wachsam ist. Und andere, neue gewaltfreiere Formen des Zusammenlebens entwickelt. 
Ich glaub, wir müssen kontiniuerlich, ernsthaft und feministisch in Frieden investieren. Außerdem müssen wir politisch konsequent sein und keine Leute wie Putin unterstützen oder mit ihnen Geschäfte machen.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Ich mochte Weihnachten schon immer. Als Familienfest. Die Idee. Wenn wir alle zusammen als Knäul auf dem Sofa lagen. Ich wünsche mir, dass wir Weihnachten in ein anti-patriarchales Fest fürs Leben und für die Gemeinschaft transformieren. Es eignet sich dafür doch hervorragend! Man muss nicht mal die Erzählung allzu sehr ändern. Wobei ich darüber wirklich noch mehr nachdenken muss. Der Gedanke ist gerade erst entstanden.