Viktoriya über Verena:
Am 17. März hätte in den frühen Morgenstunden ein Zug mit Snizhana, ihrer Schwester, ihren Töchtern und ihrem Kater von Polen nach Berlin starten sollen. Es kam alles anders als geplant. Der Zug hatte technische Störungen und ist ausgefallen. Anders als in Deutschland kam dazu keine Durchsage am Bahnhof. Der Bahnhof war überfüllt mit geflüchteten Menschen, niemand wusste, was gerade geschieht, wann und ob der Zug überhaupt kommen würde. Ich habe von Konstanz aus im Internet recherchiert und konnte gerade so ein paar wenige Informationen auf Polnisch zusammensammeln, was mit dem Zug los war und welche Alternativen es gibt, vom Fleck zu kommen. Erst gegen 16 Uhr saßen die vier Frauen und der Kater schließlich in einem Zug nach Berlin. Es war also klar, dass der ursprüngliche Plan, sie in Stuttgart am Bahnhof abzuholen, dort zu übernachten und am nächsten Tag weiter nach Konstanz zu fahren, nicht aufgehen würde. Ich habe die Übernachtung abgesagt und habe mich auf die Suche nach einer Unterkunft in Berlin gemacht. Verena hat sich bei mir gemeldet, dass sie zwei Zimmer hat, sehr nah am Bahnhof wohnt und sie die fünf dort abholen wird, egal, wie spät sie ankommen. Ich habe ihr die Situation mit den Zügen in Polen geschildert. Anschließend haben wir uns gemeinsam auf die Suche nach weiteren Alternativen für unsere Reisenden gemacht, wie sie noch vor Mitternacht nach Berlin kommen könnten. Solange noch unklar war, ob überhaupt ein Zug fahren würde oder nicht, haben wir Busverbindungen, Preise, Jugendherbergen, Taxis und so weiter geprüft. Schließlich haben Snizhana und ihre Schwester sich selbst geholfen und konnten mit dem Zug ihre Fahrt fortsetzen, mit dem Ziel, in Berlin bei Verena zu übernachten - in einer sicheren Unterkunft, mit bequemen Betten, leckerem Schwarztee und im Warmen.
Verena erzählt ihre Geschichte von Nächstenliebe:
Ich habe die Ströme an Flüchtlingen von vielen verschiedenen Seiten mitbekommen und auch wie Unterkünfte immer knapper wurden. Es war März/April, noch relativ kalt und viele Frauen mit kleinen Kindern mussten einfach in Zelten untergebracht werden. 
Und da kam ich dann ziemlich schnell drauf, dass ich in meiner Wohnung eigentlich genug Platz habe, gerne helfen wollte und hier konkret etwas machen konnte. Deshalb habe ich mich auch gemeldet, als zunächst für Kolleginnen aus unserem Agenturnetzwerk aus der Kyiv-Niederlassung Unterkünfte gesucht wurden. Das war für mich greifbarer. 
Und dann hatte es für mich auch eine kleine egoistische Schiene mit drin, weil ich einfach gerne wieder ein bisschen Leben in meiner Wohnung haben wollte. Und auch der Gedanke: „Ist doch wunderbar, dann habe ich die spannende Chance, Menschen aus dieser Region persönlicher kennenzulernen und verstehe auch besser, was da gerade passiert.
Ich hatte dann auch mit Irena riesiges Glück: Sie hat noch ihren russischen Pass, ihr Vater ist Ukrainer, ihre Mutter ist Russin und sie wohnt seit zwölf Jahren in Kyiv. Sie und ihr Sohn konnten außerdem gut Englisch. Und so hatten wir viele lange Nächte mit Tee und sie konnte mir beide Seiten des Konflikts aus ihrer persönlichen Situation beschreiben. Beide mit ihrem eigenen Drama… sowohl auf der ukrainischen als auch auf der russischen Seite. 
Wer bin ich ...
Ich bin Verena, 44 Jahre alt, und komme ursprünglich aus Radolfzell, wohne aber momentan in Berlin und arbeite dort in einer Marketingagentur. 
Ich bin ein sehr bunter Mensch und habe in meinem Leben schon viele Sachen gemacht: von Start-Ups aufbauen, Social-Media-Projekte leiten und für ein Unternehmen viel international auf Messen unterwegs sein. Außerdem war ich oft im Ausland: u.a. in Spanien, Frankreich, China und dann mehr als zwei Jahren mit Sven (No. 13 im Kalender) in Australien. Toll sind hier die verschiedenen Küchen, die man international kennenlernt, und der Einblick in fremde Kulturen und auch andere Sichtweisen.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Für mich persönlich ist das Wort „Nächstenliebe“ eigentlich zu nah an der christlichen Nächstenliebe dran. Dabei braucht es für mich dafür keinen religiösen Glauben. Kindness ist für mich mehr eine Basis für ein warmes Miteinander. Gutes tun, ohne etwas zurück zu erwarten. Das ist für mich so etwas wie eine Grundeinstellung. 
Ich mache es aus der Sache heraus und nicht aus Berechnung oder aus dem Ziel: „Ich bin nett, weil ich etwas zurück erwarte“, sondern weil ich mich wirklich freue, wenn ich etwas dazu beitragen kann, dass es anderen mit sich gut geht oder ich durch meinen Impuls Positives bewirken kann. 
Und dann kommt natürlich so ein bisschen auch mein eigener Grundsatz dazu: Ich glaube fest daran, dass man das Universum regelmäßig mit guter Energie füttern muss. Wenn genug Menschen das Universum mit guter Energie füttern, dann geht es uns einfach allen besser. Irgendwie und irgendwann kommt es in der ein oder anderen Form auch wieder zu einem selbst zurück. Man muss nur das Rad am Laufen halten. Es ist wie ein Kettenbrief der positiven Energie.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Zum einen war es auf einmal sehr greifbar und gleichzeitig so irreal, weil es so nah war. 
Krieg in Europa fühlt sich irgendwie an, als wäre es aus der Zeit gefallen und plötzlich ist es ganz schnell ganz nah. Zum Beispiel sind bei mir in Berlin sehr schnell die Flüchtlingsströme angekommen, jeden Tag tausende Menschen am Berliner Hauptbahnhof. Das war schon surreal, das live mitzuerleben. Das ist bei anderen Kriegen wie bei Syrien z. B. ja auch gekommen, aber erst mit der Zeit … 
Dann fand ich es erschreckend, einfach diese unglaubliche Willkür mitzuerleben. Dass es nur wenige durchgeknallte und machthungrige Ideologen an der Spitze geben muss, um ganze Länder ins Chaos zu stürzen. Es reicht, wenn wenige Menschen zu viel Macht haben, zu viel unkontrolliert beeinflussen und auch so viel kaputt machen können. 
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Ich finde, in der ganzen Situation gibt es nur Verlierer. Das alles ist absolut sinnlos, deshalb fand ich es so tragisch. Eigentlich hat man ja gedacht, dass Krieg in Europa nicht mehr passiert, weil heute nicht mehr die Zeit ist, in der man Krieg hat. Alles ist doch miteinander vernetzt und wie beim Gas voneinander abhängig.
Also habe ich gedacht, nach 1945 hätte man verstanden, dass Großreichsfantasien nicht funktionieren. Es hat in Deutschland nicht funktioniert, warum sollte es dann sonst wo? 
Aber dass dann jemand in Russland so ideologisch dem nachhängt und aus dem irrsinnigen Glauben heraus einen Krieg beginnt, dass er vermeintlich nach drei Tagen in Kyiv mit Blumen und Musik als Befreier begrüßt wird und dann einfach weiter durchmarschieren kann, nach Belarus und wer weiß noch wohin, um „das Reich“ wieder zu vereinen …
Für mich hat sich Putin dabei total verkalkuliert und jetzt kommt er ohne Gesichtsverlust nicht mehr aus der Nummer raus und muss immer weitermachen. Egal um welchen Preis. Egal wieviel dabei zerstört wird. Das finde ich so krass.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Ich hatte mich davor nicht so intensiv mit Russland und mit der Ukraine beschäftigt. Jetzt ja. Ich wollte die Ideologie, die dahinter steckt, besser verstehen. Es war für mich nicht klar, dass in Russland so dermaßen viel Propaganda läuft. Ich wusste, es läuft Propaganda, aber in welchen Dimensionen … Das war mir nicht klar.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Ich wünsche mir, dass wir alle mehr aufeinander aufpassen und dass wir mehr füreinander machen und nicht gegeneinander. Irgendwie können wir alle unseren kleinen Teil dazu beitragen, dass wir es hier gut zusammen auf der Erde haben. 
Wir leben gerade in einer unsicheren Zeit mit allen möglichen Krisen, Unruhen und Ängsten. Umso wichtiger ist es, dass wir uns nicht noch mehr abgrenzen, sondern dass wir es irgendwie schaffen mehr aufeinander zuzugehen, uns gegenseitig zu unterstützen und miteinander etwas Besseres daraus machen …
…und dabei dem Universum mehr gute Energie zuführen.