Alina über Iryna:
Seit den ersten Tagen des Kriegs hat mich Iryna moralisch und psychologisch unterstützt. Sie hat Spenden gesammelt, damit ich Menschen, die innerhalb der Ukraine nach Lemberg geflüchtet sind, mit Lebensmitteln versorgen konnte. Während meiner eigenen Ausreise aus Lemberg hat mich Irina online begleitet. Sie hat mir geholfen, eine Unterkunft in Polen zu finden, wo ich tief in der Nacht durch ehrenamtliche Helfer*innen unterkommen konnte. Iryna selbst hat als ehrenamtliche Helferin eine Online-Gruppe mit dem Titel "20 Minuten für dich“ organisiert, mit dem Ziel, Menschen mit unterschiedlichen Techniken zu helfen sich von den traumatischen Ereignissen, dem Schrecken des Krieges und der Flucht zu erholen. Irina hat Spendensammlungen für die Evakuierung von Frauen mit Kindern organisiert, sie hat wichtige Informationen weitergegeben und mit Kleidung ausgeholfen. Sie hat geflüchtete ukrainische Frauen bei sich zuhause aufgenommen und hat ihnen eine vorübergehende Unterkunft angeboten.
Irina und ihre Geschichte über Nächstenliebe:
Helfen und unterstützen war für mich in dieser Situation keine Entscheidung, wie man sie normalerweise fällt. Als all das angefangen hat, war ich erst mal einen Tag im totalen Schock, mit vielen Tränen und Schüttelfrost, dann sind wir demonstrieren gegangen. Das war ein Ort, an dem es uns ein wenig besser ging - zumindest konnten wir dort aufatmen. Danach kam das ständige Gefühl, dass wir hier sind, dass wir in Sicherheit sind, und dass wir nichts tun können. Es war kein Schuldgefühl, sondern ein Gefühl, irgendwie überleben zu wollen. Es war unmöglich, so zu leben wie früher. Einfach nichts tun? Oder vielleicht in die Ukraine fahren? Dieser Gedanke war beängstigend und sicherlich nicht clever. Was kann ich sonst tun? Einfach was ich tun kann. Wenn man am ganzen Körper zittert und die Augen voller Tränen hat … und wenn man dann ein bisschen etwas tut, geht es einem besser. Viele in meiner Umgebung hatten das gleiche Gefühl, man denkt nicht viel nach, sondern tut einfach. Ich habe geholfen und unterstützt, weil ich mich selbst aus diesem Zustand herausziehen wollte.
Wer bin ich ...
Ich heisse Iryna Berger und bin 45 Jahre alt. Wir sind nach Deutschland gekommen, als ich 19 Jahre alt war, ich komme ursprünglich aus Charkiw in der Ukraine. Ich arbeite als Sozialarbeiterin und als Gestalttherapeutin mit Geflüchteten. 
Wer ich wirklich bin … Dazu fällt mir ein Sprichwort ein: Ein Schüler besucht einen buddhistischen Mönch. Der Mönch fragt ihn: "Wer bist du?"  … und ich, als dieser Schüler, würde antworten: - "Ich bin Irina, und ich bin Mutter." Der Mönch fährt dann fort: - "Nun, wenn du keine Mutter bist, wer bist du dann?"… Jetzt bin ich keine Mutter. Ich bin einfach ein Mensch. Vor dem Hintergrund der Tatsache, was gerade so alles passiert, bin ich einfach ein Mensch.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Ich habe den Eindruck, dass Kindness eine andere Bedeutung hat als Nächstenliebe. Es gibt so ein Wort in der russischen Sprache, aber es gibt keine wortwörtliche Übersetzung des Wortes ins Deutsche. Im Prinzip ist Nächstenliebe etwas anderes als Kindness. Ich habe mich an meine persönliche Geschichte erinnert. Als ich in der Schule war, gab es einen Jungen in meiner Klasse. Er war, wie ich jetzt weiss, ein wenig geistig zurückgeblieben, nur ein kleines bisschen. In irgendeiner ganz normalen Situation, die wir miteinander hatten, hat eine meiner Klassenkolleginnen mich beobachtet, wie ich mit ihm umgegangen bin und sie sagte zu mir: "Du bist nett, du bist cool, aber du bist nicht gütig." Ich weiß, dass es mich jahrelang verfolgt hat. Das war für mich lange Zeit ein Thema. 
Im Laufe meines Lebens ist Kindness zu einer der wichtigen Eigenschaften geworden, nach der ich Menschen auswähle.
Es ist eine Eigenschaft der Seele, wie das Licht. Es ist in einem Menschen drin, etwas Ansprechendes, Entwaffnendes. Es ist etwas Angeborenes, entweder ist es da oder nicht. 
Das ist ein Mensch, der einen anzieht, dem man nah sein möchte, ein Mensch, der strahlt - so warm, weich und freundlich. Ich finde, Kindness ist weniger eine Handlung. Ich denke, es ist eher eine innere Einstellung. 
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Ich weiss noch, dass ich diese Nachrichten morgens um 4 Uhr gelesen habe. Ich bin dann zu Borja gegangen und habe geweint. Das alles ist schneller gegangen, als irgendwelche Gedanken, Gefühle … Am Anfang war es ein Schock, eine Ablehnung und nicht glauben wollen.
Erst danach kam die ganze Palette an Gefühlen. Ich hatte große Angst, ob noch alle dort am Leben waren, die ich kenne. Dieses Gefühl hatte ich die ganze Zeit.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Für mich persönlich... Ein Teil von mir glaubt immer noch nicht daran, dass Krieg herrscht. Ich kann es immer noch nicht ganz verstehen. Für mich ist es die Angst, die ich die ganze Zeit habe, ob alle, die dort sind und die ich kenne, noch am Leben sind. Der Krieg ist die ganze Zeit sehr nah. Das ist wie ein Teil von mir, in dem die ganze Zeit Krieg herrscht. Es ist wie ein innerer Krieg.
Global gesehen habe ich das Gefühl, dass die Ukraine für alles kämpft, was die Menschheit erreicht hat und sie versucht, es zu verteidigen. Das ist eine Art Krieg über Werte im Allgemeinen, Werte, die auch meine persönlichen sind. Es ist, als ob ein Land für mein Recht kämpft, so zu leben, wie ich lebe. Siegt die Ukraine in diesem Krieg, so werde ich dieses Recht haben. Wenn nicht, werde ich es nicht mehr tun dürfen. Auf jeden Fall ist es sehr nah, näher als die russische Mobilisierung, die für mich weiter weg war, obwohl wir Verwandte und Freunde dort haben. Die Ukraine ist ein Teil von mir - sie ist in mir drin.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Ganz ehrlich, global gesehen hat der Krieg bei mir nicht so viel verändert. Nach unserer Reise vor drei Jahren lebe ich so, dass ich keine weitreichenden Pläne mehr schmiede. Der Krieg hat dieses Leben im Hier und Jetzt noch mehr in den Vordergrund gerückt. Allerdings kann ich nicht sagen, dass es sich allzu sehr verändert hätte. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt seit drei Jahren so lebe, dass jeder Augenblick kostbar ist. Dieses Gefühl ist jetzt noch stärker geworden. 
Ich denke, der Krieg hat mich stärker gemacht, er hat in mir viel Kraft hervorgeholt... er hat mir gezeigt, dass ich mehr Kraft habe, als ich dachte. 
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Wegen des Krieges wünsche ich mir Frieden, und dazu noch Rückkehr zu der Möglichkeit, in friedlichen Kategorien zu denken. Kleine, alltägliche Dinge aus dem friedlichen Leben sollen wieder möglich sein können. Dieser Krieg, und ich spreche für mich, ist sehr deutlich zu spüren und zu erleben, weil es mich persönlich betrifft. Dass es keinen Krieg mehr gibt, das ist alles, was ich mir wünsche. Alles andere, denke ich, wird sich irgendwie von selbst regeln.