Alina über Eva:

Eva und Adilia Hornek haben im März auf freiwilliger Basis eine psychologische Selbsthilfegruppe für ukrainische Flüchtlingsfrauen in Konstanz organisiert. Die Gruppe fand einmal wöchentlich statt. Eva und Adilia haben den Frauen geholfen, die schwierigen Erfahrungen des Krieges, der Evakuierung und der Immigrierung mental zu verarbeiten. Die Frauen in dieser Gruppe erinnern sich heute noch mit großer Dankbarkeit an diese Treffen. Wie sich herausstellte, sind solche Begegnungen - psychologische und mentale Unterstützung - eines der wichtigsten Dinge, die Kriegsflüchtlinge brauchen. Viele haben es geschafft und können weiter aufleben und zu sich kommen.

Eva erzählt ihre Geschichte von Nächstenliebe:
Ich konnte das Gefühl der Hilflosigkeit nicht ertragen. Klar, es ist zwar Nächstenliebe, es ist aber auch etwas Egoistisches: weil ich meine Hilflosigkeit nicht aushalten wollte, bin ich aktiv geworden.
Das war für mich keine Frage, das war für mich völlig klar: Ich muss was tun, ich muss helfen. Und ich wollte es auch. Um die Frage „Wie helfe ich?“ sind dann viele Prozesse gelaufen, z. B. „Wie kann ich wirklich nachhaltig helfen, was braucht es jetzt gerade wirklich?“ Oft kann aus einem starken Handlungsimpuls, wie ich ihn hatte, blinder Aktionismus werden und das ist nicht hilfreich. Und es wäre tatsächlich auch nicht hilfreich gewesen, in die Ukraine zu fahren. Von hier aus konnte ich viel mehr erreichen, über die Arbeit mit Geflüchteten hier vor Ort, die Online-Arbeit mit Therapeut:innen und anderen Personen in Kyiv, und über die Arbeit mit Fachkräften hier vor Ort, die ich supervidiere und in Traumatherapie ausbilde. Das ist das, was ich gut kann, und was ich auch in dieser Situation gut nutzen konnte. Ich kann im Kontakt gut Leichtigkeit mit Tiefe verbinden, in der Therapie und in den Ausbildungen. Es gibt keine Geschichte, die mir mein Gegenüber schildern kann, bei der ich sagen würde „Das kann ich nicht aushalten, mir das anzuhören“. Und das ist ein großes Geschenk für mich.
Wer bin ich ...
Ich heisse Eva und bin eine Begegnungssammlerin. Ich liebe es Menschen zu begegnen, ich liebe es, ihre Geschichten zu erfahren und manchmal auch dazu beizutragen, dass diese Geschichte ein Stückchen besser ist, als sie vorher war. Ich bin ausgebildete Familientherapeutin mit dem Schwerpunkt in Traumatherapie. Ich habe vier Jahre hier in Konstanz am Kompetenzzentrum Psychotraumatologie gearbeitet und mit Folteropfern Traumatherapien durchgeführt. Es ging dabei darum, Menschen im Hier und Jetzt ankommen zu lassen. Das war ein bisschen so, wie mit zerbrochenem Porzellan, denn ich helfe den Menschen, ihre fragmentierte Lebensgeschichte wieder zusammenzufügen. Wie in der japanische Kunst Kintsugi. Ich helfe meinem Gegenüber, dass er oder sie die eigene Lebensgeschichte wieder als „Ganzes“ wahrnimmt, und dadurch wird sie nicht nur wieder heil, sondern kann auch in neuem Licht gesehen werden. Manchmal ist es fast so, als sei sie dann veredelt.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Nächstenliebe ist unverzichtbar. Nächstenliebe heißt für mich, dass ich allen, die mir begegnen, auf Augenhöhe begegne und immer in dem Wissen bin, dass ich keine Ahnung habe, woher dieser Mensch gerade kommt, was seine Geschichte ist, was dieses Gegenüber gerade mitbringt. Und dass ich einen guten Raum gebe, es füreinander besser zu machen, dass wir miteinander einen guten Weg finden. Nächstenliebe heißt ja immer „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst“, und das bedeutet erstmal, dass ich mich selbst lieben muss. Nächstenliebe kann auch bedeuten: Ich bin freundlich, ich bin dir zugewandt, ohne dass ich etwas im Gegenzug erwarte: bedingungslose Liebe, „unconditional love“. Ich begegne dir so, weil du ein Mensch bist.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Ich war wütend, hilflos, erschrocken und ich bin sehr schnell aktiv geworden. Als die Nachricht kam, “Jetzt ist Krieg”, war ich in dem Modus: Jetzt muss ich dahin fliegen und vor Ort helfen. Seit ca. 2019 habe ich mit einer Kollegin in Kyiv ein Training in Traumatherapie ausgearbeitet und wir wollten es schon lange umsetzen. Es hat sich aber immer wieder durch Corona und andere Umstände verzögert.
Im Februar 2022 bin ich in die USA geflogen, um mich mit meinem Mentor zu treffen. Es hat sich angefühlt, als würde ich in die falsche Richtung fliegen. Im Nachhinein war es gut, dass die Nachrichten aus der Ukraine bei mir durch die verschiedenen Zeitzonen mit Verzögerung ankamen. Es hat mich massiv getroffen. Sobald die Gesichter da sind, sobald man persönliche Verbindungen hat, ist es ganz anders, als wenn man einfach nur Nachrichten liest.
Als ich zurück in Deutschland war, habe ich zwei Dinge getan: Mit Adilia Hornek habe ich eine Gruppe zur psychosozialen Unterstützung und Selbsthilfe für ukrainische Frauen und Kinder gegründet, die hier in Konstanz ankamen. Wir haben uns immer donnerstags im Heimathafen getroffen, wo wir herzlich aufgenommen und versorgt wurden. Und ich habe für die Klinik in der Ukraine einen Fundraiser gestartet, damit die Therapeut:innen vor Ort weiter arbeiten konnten, weil eben dort vieles zusammengebrochen war.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Durch meiner Tätigkeit in Kriegs- und Krisengebieten in anderen Ländern war ich schon vor dem Krieg in der Ukraine mit dem Kontext vertraut und habe ich mich immer wieder mit dem Thema „Krieg“ auseinandersetzen müssen. Mein Wertegefühl hat sich über den Zeitraum der letzten zehn Jahre schrittweise angepasst. Der Unterschied ist dieses Mal, dass es ein Krieg auf europäischem Boden ist. Was die Auseinandersetzung mit Krieg für mich bedeutet, ist eine klare Wahrnehmung davon, wie endlich alles ist und welche Prioritäten ich setze. Ich frage mich regelmäßig: “Ist das, was ich gerade tue oder plane mir wichtig, und was hat welche Priorität? Stimmen meine Handlungen überein mit meinen Werten?”
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Seit 2013 arbeite ich mit Folteropfern, deshalb gab es für mich mit Blick auf den Kriegsbeginn in der Ukraine kein „davor“ und kein „danach“. Es gab für mich eine Veränderung in meiner Wahrnehmung, dass es den Krieg in Europa gibt. Aber diese Veränderung gab es für mich bereits 2014 bei der Annexion der Krim. Was mir allerdings viel deutlicher geworden ist, wie nah es sich anfühlen kann. Denn zuvor war es so, dass ich meist mit dem Flugzeug in Krisengebiete geflogen bin, Syrien, Irak, oder auch andere Länder. Dort bin ich für vier Wochen geblieben, um Therapeut:innen auszubilden und dann bin ich wieder hierher zurückgekommen. Und jetzt ist es auf einmal so geworden: „Hey, warte mal, ich könnte dorthin mit dem Zug fahren.“ Das ist einfach was anderes.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Mehr Präsenz. Zaim Schneider hat einmal gesagt „We are human beings, not human doings“.
Wir brauchen mehr dieses Dasein, das Präsent-Sein. Sowohl mit sich selbst präsent sein, als auch mit dem Gegenüber. Für einen kurzen Moment innehalten, ausatmen und nur wahrnehmen.
Es führt wieder zu diesem Thema „Selbstliebe“: Bin ich präsent für mich selbst? Nehme ich wahr, wie es mir gerade geht, wie es um meine Bedürfnisse steht? Oder schiebe ich das weg? Und bin ich mit meinem Gegenüber präsent? Bin ich mit dir präsent? Nehme ich wahr, wie es dir gerade geht, was dich beschäftigt? Erst dann können wir wirklich in Kontakt gehen. Präsent-Sein heißt nicht, sofort Lösungen zu suchen. Es heißt auch, das Gute wahrzunehmen, Bedürfnisse anzuerkennen, auch wenn sie im Hier und Jetzt nicht immer alle befriedigt werden können. Aber das Anerkennen, Akzeptieren und Sein ist das, worum es geht. Ich glaube, mehr davon könnte Vieles unfassbar viel besser machen. Wenn wir im echten, aufrichtigen Kontakt mit uns selbst und mit unserem Gegenüber sind. Das wäre so schön! Das wäre so unglaublich schön!