Viktoriya über Günter:
Günter kannte ich über Nataliya, denn er war ein Arbeitskollege von ihr aus ihren Stuttgarter Zeiten. Ich habe ihr von den Rückkehrwünschen von Snizhana und ihrer Tochter erzählt und dass sie eine Übernachtung bei Stuttgart benötigen werden. Günter hat dann für sie eine Übernachtung im Hotel am Stuttgarter Flughafen organisiert und bezahlt. Denn eine Reise von Konstanz nach Stuttgart mit dem Zug und unzählige Umstiege auf Bahnersatzbusse machten die Sache kompliziert und der Bus nach Kyiv fuhr früh morgens von der Busstation am Flughafen. Die Fahrt ging also dann am Abend vor der eigentlichen Reise in die Ukraine los. Günter hat Snizhana, ihre Tochter und den Kater vom Bahnhof abgeholt und ins Hotel gebracht. Er hat sie für ihre weitere Fahrt in die Ukraine mit einer Menge Lebensmitteln eingedeckt und dafür gesorgt, dass sie rechtzeitig und bequem an der Busstation waren. Dafür bin ich Günter sehr dankbar!
Günter erzählt seine Geschichte von Nächstenliebe:
Hier sollte man dazu sagen, dass der direkte Kontakt entscheidend ist. Um ein anderes Beispiel zu nennen: Wenn man hört, dass im Libanon oder Mogadischu Krieg ist und Hilfe benötigt wird, fährt oder fliegt man ja auch nicht sofort hin, um irgendjemandem zu helfen. Aber sobald ich mitbekomme, dass jemand in meinem unmittelbaren Umfeld Hilfe benötigt und ich konkrete und praktische Hilfe leisten kann, dann gehört das zu meinem Selbstverständnis. Diese Umstände sind dann einfach näher an mir dran und ich sehe unmittelbar, was ich bewirken kann. Man bekommt hier auch eine direkte Rückmeldung. Anders als bei einem Spendenkonto, auf das ich unter Umständen viel Geld eingezahlt hätte.
Wer bin ich ...
Mein Name ist Günter, ich bin 52 Jahre alt, angestellter SAP-Berater bei T-Systems International GmbH und seit über 20 Jahren in der Automobilbranche bei Kunden wie Porsche, Volkswagen, Daimler, BMW und anderen unterwegs. Nebenbei kümmere ich mich gemeinsam mit einem Partner um die Vermietung von Wohn- und Geschäftsräumen. Ich habe eine Frau und einen 12-jährigen Sohn.
Ich bin grundsätzlich eher ein ruhiger Einzelgänger. Von Grund auf bin ich Techniker, daher auch teils akribisch und detailverliebt. Gerne beschäftige ich mich mit Motorsport, oder auch Go-Kart fahren.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Also wenn ich Nächstenliebe höre, denke ich in erster Linie an den religiösen Hintergrund. Nächstenliebe verwende ich in meiner Umgangssprache eigentlich nie, es sei denn in Verbindung mit dem christlichen Kontext. Ich muss dazu sagen, dass ich kein besonders gläubiger Mensch bin. Ich bin keiner, der Mitglied in einer Spendenorganisation ist oder regelmäßig an irgendwelche Institutionen spendet. Das ist für mich zu distanziert und anonym.
Wenn aber jemand in einem konkreten Fall Hilfe braucht und ich durch mein Tun konkret Hilfe oder Unterstützung bieten kann, tue ich das auch.
Für mich ist es auch eine gewisse Form von Selbstverständnis - eine Art Anstand. Und es gibt einfach bestimmte Situationen, in denen man es einfach tut.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Erstmal war es ja völlig unerwartet. Klar, Putin hat es angedroht. Aber als er dann tatsächlich einmarschiert ist, war es erstmal ein Schock. Verbunden mit der Frage, was jetzt kommen wird und was er vorhat? Und eine gewisse Furcht, dass es nicht noch schlimmer wird.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Zunehmend wird ja alles dramatischer. Der Krieg rückt tagtäglich näher. Auch wenn der Krieg an sich nach wie vor in der Ukraine stattfindet, kommen täglich die Auswirkungen näher an mich persönlich heran. Inflation ist das, was alle betrifft und ich direkt damit in Verbindung bringe. Genauso wie die Auslöser des Ganzen, wie z.B. steigende Gas- und Erzeugerpreise. Viel unmittelbarer an mir selbst sehe ich das bei einigen Mietern, die es wesentlich härter trifft und die mir einfach sagen: „Ich kann das alles schlicht nicht mehr bezahlen.” Menschen, die bisher ihr Leben selbst bestreiten konnten, müssen demnächst Unterstützung beantragen.
In der Ukraine wird weiter gekämpft und man fragt sich, was die Annexionen nun für weitere Folgen haben. Man möchte nicht wirklich darüber nachdenken, was Putin als nächstes vorhat.
Das Schlimmste daran ist diese Machtlosigkeit – ja Ohnmacht, da man als Einzelner daran nichts ändern kann.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Ich finde hier den Begriff Zeitenwende recht treffend. Denn egal wie es ausgehen wird - und selbst, wenn der Krieg morgen vorbei wäre - geht man nochmal anders durch die Welt. Sei es das Thema Energie oder auch Grenzen. Vor einem Jahr hörte man allerorts: „Wir leben in einer globalisierten Welt. Software wird in Indien und Russland programmiert, man geht in den Urlaub in die USA oder sonst wohin ins Ausland. Es war eben eine Welt, die irgendwie zusammengehört hat. Und jetzt bekommt das Wort “Grenze” eine völlig neue Bedeutung. Mit dem Brexit haben wir einen winzigen Vorgeschmack bekommen. Hier sind es aber vor allem wirtschaftliche Auswirkungen und Reisehindernisse. Nun aber bekommt “Grenze” eine weitere negative Bedeutung: “Wer gehört zu mir und wer nicht?” Das ist das Schlimme. Man überlegt sich: Wie sind die Lieferketten und Abhängigkeiten zu anderen Ländern, wem kann man noch vertrauen? Also das mit der Globalisierung hat sich erstmal erledigt.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Auf jeden Fall Frieden, keine „einfache Waffenruhe“, sondern einen nachhaltigen Frieden. Dass diese negativen Gedanken „Wem kann ich noch trauen und wem nicht?“ umgekehrt werden in positives Denken. Viele in Deutschland werden sich noch an die WM 2014 erinnern, als wir Vizemeister wurden. Die Stimmung in diesen Wochen war ungebrochen gut. Sei es morgens beim Brötchen holen oder abends beim Essen gehen. Alle waren gut gelaunt. Das wünsche ich mir und allen anderen.
Alina über Patrick:
Im Jahr 2020 wollte Patrick eine Fotoausstellung von meinen Werken in Konstanz organisieren und sie von Kyiv nach Konstanz verlegen. COVID kam dazwischen und die Ausstellung wurde verschoben. Und als ich, wie der Zufall es wollte, in Konstanz gelandet bin, war es für mich eine Überraschung, dass es genau diese Stadt war. Patrick stellte mir andere Fotografen aus der Stadt vor, hat mir die Ausrüstung für meine Arbeit ausgeliehen, hat mich zur Ausstellungseröffnung im April eingeladen und hat mir mit vielen Kontakten geholfen, die ich nun in Konstanz geknüpft habe.
Patrick erzählt seine Geschichte von Nächstenliebe:
Für mich war sofort klar: den Menschen muss man helfen. Und für mich war auch sofort klar, dass man jeden der flüchtet hier mit offenen Armen empfangen muss. Es gibt ja das Politische und das Menschliche. Am Politischen kann ich nichts ändern. Aber am Menschlichen. Diese Menschen sind für mich sofort willkommen gewesen, da gab es für mich gar keine Überlegung. Diese Menschen fliehen vor Krieg, da geht es ums nackte Überleben. Und da auch nur einen Moment mit der Wimper zu zucken oder zu sagen, „nee wollen wir nicht“, das kommt für mich überhaupt nicht in Frage.
Ich war ratlos, was ich tun könnte, habe mir das eine zeitlang angesehen und bin dann zufällig auf die Sache von Aishe getroffen, die sich wahnsinnig engagiert hat. Und da konnte ich mich mit einbringen, da wusste ich was ich zu tun habe. Es waren sehr viele Leute aus Konstanz dabei, die mitgemacht haben, mit großer Hilfsbereitschaft.
Wer bin ich ...
Ich heiße Patrick, bin Anfang 50 und komme aus Konstanz. Beruflich bin ich im Bauprojektmanagement und interessiere mich speziell für Fotografie.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Mitmenschlichkeit. Das liegt schon in der kulturellen, gesellschaftlichen und familiären Prägung. So bin ich einfach aufgewachsen, in dieser Tradition des Denkens. Hilfsbereitschaft ist für mich eine Form von Selbstverständlichkeit.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Ich habe irgendwie erwartet, dass es irgendwann mal zu so einem Konflikt mit Putin kommt. Das hat sich ja durch die Krim schon abgezeichnet gehabt. Aber man hat Putin gewähren lassen und hier im Westen hat man sich viel zu wenig dafür interessiert. Wenn man den Reden von Putin in den letzten Jahren zugehört hat, war die Entwicklung absehbar, dass es dazu kommen wird. Es hat mich also nicht überrascht, aber es hat mich erschüttert und schockiert. Ich fühle mich seither auch in Europa in gewisser Weise bedroht.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Mit einer gewissen Sorge. Den Frieden, in dem wir hier leben, schätze ich natürlich noch mehr. Es wird einem bewusst, dass wir hier in Frieden leben und der Krieg gerade mal von Hamburg nach München weit weg ist. Sozusagen auf der Fußmatte. Und das ist eine Bedrohung für Europa. Das prägt. Man trägt das irgendwie mit sich herum. Am Anfang hatte ich Angst. Das ist es jetzt nicht mehr. Aber es ist irgendwo einkalkuliert.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Gesundheit, Friede und Wohlergehen für alle. Mehr kann man sich nicht wünschen, das ist in unseren Tagen schon viel.