Viktoriya über Jackie:
Jackie ist mir am 24. Februar bei meinem täglichen Spaziergang begegnet, nur dass mein Spaziergang an diesem Tag anders war als sonst: mein Körper war halb-anwesend, meine Augen voll mit Tränen und meine Füße haben mich auf dem Weg getragen, den ich jeden Tag gegangen bin. Ich habe nichts um mich herum vernommen. So hat mich Jackie gesehen und mich gefragt, wie sie mir helfen kann, ob sie mich umarmen könnte und ob es für mich okay wäre, wenn sie mit mir ein Stück gemeinsam gehen würde. Mit ihren Worten hat sie mich ein Stückchen zurück zu dem Ort geholt, wo ich eigentlich war. Das hat mir in dem Moment gut getan und dafür bin ich Jackie dankbar.
… und für den Angels 4 Ukraine von Pirmin Breu!
Jackie erzählt ihre Geschichte von Nächstenliebe:
Was heisst helfen? Spenden, Mahnwache und Zuhören. Da kommt das Wort “Machtlosigkeit” wieder. Ich denke viel darüber nach, was ich machen würde, wäre ich eine Ukrainerin. Würde ich fliehen? Wäre ich bereit, für mein Land zu sterben?
Aus der anfänglichen Lähmung wird Proaktivismus. Man versucht zu helfen, sucht nach Möglichkeiten einer Unterkunft, spendet für Hilfsorganisationen oder nimmt an Mahnwachen teil. Man wird so super aktiv aus einer Hilflosigkeit heraus. Dadurch hilft man vor allem aber auch sich selbst. Es bietet einem die Möglichkeit, dem Krieg nicht vollkommen ausgeliefert zu sein. Dies ist aber wahrscheinlich ein Trugschluss.
Wer bin ich ...
Ich heisse Jacqueline, bin 52 Jahre alt (fragt sich kurz, ob das stimmt) und wohne schon mein halbes Leben lang in Chur. Ich war früher sehr kosmopolitisch und bin es jetzt gar nicht mehr. Ich habe hier in Chur meine Mitte gefunden.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Es wäre eine einfache Frage, die doch schwierig zu beantworten ist und sehr individuell. Manchmal braucht es so wenig und es wird als so wertvoll wahrgenommen. Und manchmal gibt man sich enorm viel Mühe und es wird vom Gegenüber nicht als Liebe wahrgenommen.
Ich kann ja nur für mich persönlich sprechen. Manchmal reicht ein ehrlich gemeintes „Wie geht es dir?” oder ein Lächeln mit einem “Guten Morgen!”. Jemandem etwas Gutes tun, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten, das ist für mich Nächstenliebe.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Es hat mich extrem gelähmt. Es ist ein Gefühl aufgekommen, dass es Dinge gibt, die man einfach nicht unter Kontrolle haben kann. Das wirkt sich bei mir so aus, dass ich Dinge, die ich kontrollieren kann, noch mehr kontrolliere, weil es das Einzige ist, woran ich mich noch festhalten kann. Alles andere kann man nicht beeinflussen. Den Krieg so nah zu wissen und keinen Einfluss darauf nehmen zu können, verunsichert, lähmt und gibt mir das Gefühl von Machtlosigkeit.
Es ist ein bedrückendes Gefühl und führt mir vor Augen, dass ich bis zu meinem fünfzigsten Lebensjahr in einer sehr privilegierten, friedlichen Welt gelebt habe. Nun haben wir in Europa den geschützten Rahmen verlassen.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Krieg im Allgemeinen bedeutet einfach, dass man sich bewusst werden muss, was für ein privilegiertes Leben wir hier in der Schweiz haben. Es führt einem aber auch vor Augen, dass wir uns in einer falschen Sicherheit wiegen. Krieg ist immer schrecklich. Den Krieg so nah zu wissen, verändert aber auch die Wahrnehmung von Kriegen, die weiter weg stattfinden.
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Es ist nicht nur der Krieg, sondern auch der Zeitpunkt, als der Krieg ausgebrochen ist. Das hat sicher auch damit zu tun, dass sich meine Wahrnehmung und mein Weltbild geändert haben. Erst war Corona, krasse Situation. Dann ist der Krieg ausgebrochen, so nah, wieder eine sehr krasse Situation. Und ich finde, seitdem ist die Welt nicht mehr die gleiche wie vorher. Dass man sich persönlich bewusst wird, dass nichts sicher ist, auch nicht hier in der Schweiz. Also lebe jeden Tag so gut wie möglich, weil niemand weiß, was morgen ist.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Darüber musste ich lange nachdenken und ich habe noch keine schlaue Antwort gefunden. Wahrscheinlich das, was in 19 von 24 Kalendertagen vorkommt: Frieden.
Ich wünsche mir auch, dass Menschen verzeihen können, damit der Kreislauf aus Hass gebrochen wird. Ein Mann und seine Entourage sind nicht die breite russische Gesellschaft.