Viktoriya über Ari:
Ari und Sanna kenne ich schon lange, denn sie arbeiten in meinem Lieblingsbuchladen in Konstanz: “Zur Schwarzen Geiss”. Hier bekomme ich Bücher, die ich sonst nirgendwo finde. Alle Bücher werden von den Mitarbeitenden selbst gelesen. In diesem Buchladen wollte ich gerne Postkarten mit Snizhanas Aquarellen von Konstanz ausstellen. Ari und Sanna haben ohne Zögern zugestimmt und die Postkarten sind nun im Buchladen zu sehen und können erworben werden.
In der “Schwarzen Geiss” gibt es übrigens, dank Ari, Ukrainisch-Deutsche Bücher. Auch damit waren sie so ziemlich die ersten in Konstanz.
Ari erzählt seine Geschichte von Nächstenliebe:
Ich habe das Prinzip Nächstenliebe von meinen Eltern gelernt. Mein Vater war so, dass er jemandem, der oder die in einer Notsituation war, geholfen hat. Das hat er bei allen Leuten gemacht, sowohl bei denen, die z.B. einen Unfall hatten, als auch bei jenen, die, sagen wir mal so, „Scheisse gebaut“ haben, als sie wieder aus dem Gefängnis raus kamen. Alles, ohne es an die große Glocke zu hängen. Er war selbst ein Pflegekind, ihm wurde geholfen, also war es für ihn klar, dass er das weitergibt.
Wer ich bin ...
Mein Name ist Andreas Rieck, ich bin einer der Geschäftsführer des Buchladens “Zur Schwarzen Geiss GmbH”. Wir sind ein selbstverwalteter Betrieb, das heißt, es gibt keinen Chef, sondern wir sind alle gleichberechtigt. Wir sind ein Kollektiv. Ich bin seit 1979 dabei. Als ich 1982 mit der Schule fertig war, habe ich hier eine Ausbildung gemacht und bis Ende der 1980er Jahre gearbeitet. Zwischendurch habe ich eine andere Berufstätigkeit ausgeübt und bin dann 1991 wieder zurückgekehrt ins Kollektiv, diesmal als Geschäftsführer. Am Anfang, 1977,  war es ein studentisches Kollektiv. Studierende von der Universität Konstanz haben sich überlegt: „Wir diskutieren interessante Themen an der Universität, aber das ist draußen im Wald. Wir kommen so nicht in der Stadt an mit unseren Ideen, wir haben zu der Stadt keine Verbindung.” Und die Idee war dann, eine Buchhandlung zu gründen. Damals war der Markt für politische Bücher sehr dünn. Es gab zwar welche, aber viele Buchhandlungen haben sich geweigert solche Bücher zu bestellen. Wir haben uns überlegt, dass es sinnvoll wäre, Bücher aus den neuen sozialen Bewegungen zu haben und verfügbar zu machen. „Neue soziale Bewegungen“ hießen damals die Frauenbewegung, die Umweltschutzbewegung, die Anti-Atomkraft-Bewegung, die Lesben- und Schwulenbewegung. Eine Buchhandlung musste es sein, weil eine Buchhandlung eine Ökonomie hat und somit die Miete und die anderen Kosten aufbringen kann. Ich halte es für wichtig, dass gewisse Ideen, wie Solidarität und Ähnliches, weiter verfolgt werden. Ich bin der Meinung, dass es etwas Wichtigeres gibt als rein ökonomische Lösungen. Mir ist es wichtig, Sachen jenseits des normalen Mainstreams zu machen.
Was ist für mich Nächstenliebe/ Kindness …
Empathie, Verantwortung auch für andere zu übernehmen, mit den anderen mitzufühlen, zu versuchen, andere zu verstehen und zumindest für sich selbst die Klarheit zu haben, wie man sich dazu verhält. Nächstenliebe heißt, sich zu kümmern. Nächstenliebe ist ein gesellschaftlicher Wert: z.B. kamen 2015 Geflüchtete aus Syrien, denen damals, wie jetzt auch denen aus der Ukraine, ihre Häuser zerbombt wurden. Und sie kommen hierher, um überleben zu können und überhaupt eine Zukunft zu haben. Da muss man ihnen helfen, da muss man nicht überlegen, was das kostet oder solche Spielchen. Da kommen die Leute, sie haben Probleme und ihnen muss geholfen werden, ohne irgendeine Debatte. Wir sind hier in einer privilegierten Ecke unterwegs, und das schafft Verpflichtungen.
Als ich erfahren hab, dass der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist ...
Ich kann mich daran erinnern, dass mich zwei Tage vor dem Krieg Freunde gefragt haben, wie ich es sehe, ob der Krieg ausbrechen wird. Meine Einschätzung war, dass es keinen Krieg geben wird, weil dafür einfach zu viel auf dem Spiel stand. Bereits zwei Tage später war die Sache gelaufen.
Frieden IST nicht. Wir haben HIER Frieden, in weiten Teilen der Welt sieht es anders aus. Daher war dieser Krieg in der Ukraine für mich nicht weiter überraschend, weil ich weiss, dass es solche Kreaturen wie Putin und seine Helfershelfer gibt, die ohne Bedenken ihre Ziele mit Gewalt durchsetzen wollen und dabei auch nicht vor Massenmord zurückschrecken.
Der Krieg in der Ukraine bedeutet für mich ...
Es ist eine Katastrophe. Eine humanitäre Katastrophe, mit allem, was dazu kommt. Wir haben zum einen in Städten wie Mariupol gesehen, dass gezielt Kulturgüter zerstört werden, dass das russische Militär Wohnanlagen angreift, dass Terror gegen die Bevölkerung ausgeübt wird und somit zu erkennen ist, dass sich der Krieg gegen eine Zivilgesellschaft richtet. Und das ist das eigentliche Problem.
Ich habe den Eindruck, dass es nicht um einen disziplinären Krieg oder eine militärische Maßnahme geht, sondern letztendlich um eine Vernichtungsaktion. Vernichtung einer Kultur und Substanz, der Infrastruktur und allem, was irgendwie geht. Putin weiss, er kann den Krieg nicht gewinnen, also macht er so viel kaputt wie möglich - die Taktik der verbrannten Erde. Und da geht es darum, einer ganzen Generation von Leuten die Zukunft zu nehmen und die Gegenwart zu zerstören. Ein Rückfall in die Barbarei, veranlasst von dem korrupten und  skrupellosen russischen Regime.
Die andere Seite des Krieges ist, dass wir hier in Europa und auch in Deutschland eine gewisse Zahl Rechtsextremer und Faschisten haben, die Putins Russland ganz toll finden. Und zu denen haben sich auch Leute mit politisch linker Vergangenheit gesellt. Mir ist nicht klar, was genau diese Leute an Putins Politik als „links“ oder irgendwie „fortschrittlich“ identifizieren. Vermutlich kennen sie niemanden in Russland, den sie über den Alltag der Menschen in Russland befragen könnten. Und vermutlich begrüßen sie auch die Maßnahmen der Putin-Regierung gegen jede Form der Opposition,weil das ihr Leben einfacher macht. Das Leben kann so leicht sein, wenn man vieles einfach ignoriert ...
Dieser Krieg hat meine Wahrnehmung/ mein Bewusstsein verändert ...
Ich habe viele Leute kennengelernt, die in permanentem Kriegszustand leben, aus anderen Kulturen und anderen Ländern und die versucht haben oder versuchen, gegen den Krieg zu kämpfen oder dem Krieg zu entfliehen. Mit dem Krieg gegen die Ukraine ist ein weiterer Krieg etwas näher zu uns gerückt. Der Krieg war auch schon noch näher, z. B. der Krieg in Jugoslawien. Ich habe damals in einer Fabrik gearbeitet. Bei uns haben zwei Menschen gearbeitet, einer war aus Kroatien und der andere aus Serbien. Sie waren die besten Freunde und von heute auf morgen haben sie sich auf die Schnauze gehauen, mitten im Betrieb und für alle überraschend.
Ich möchte den Menschen zum Weihnachten wünschen ...
Uns allen wünsche ich mehr Mitglieder der Menschheit, die ihre Augen aufmachen und das Gehirn zum Denken benutzen. Dass möglichst viele Menschen die Kraft und den Mut finden, unmenschliche Zustände zu erkennen, zu benennen und dagegen vorzugehen, ohne auf irgendwelche Fakes, Querdenkereien und anderen Schwachsinn reinzufallen und ohne professionellen Lügnern und Vereinfachern auf den Leim zu gehen.
Mir selbst wünsche ich manchmal nur noch meine Ruhe. Ich wünsche mir, dass ich weiterhin die Wege finde, unser Projekt zu bewahren. Es passiert von selbst, dass der Wohlstand, den wir hier haben, sich reduzieren wird. Ich wünsche mir, dass mir die Ideen nicht ausgehen, möglichst lange Teil einer Lösung zu sein, statt wie zu viele Menschen immer nur Teil eines Problems.